Christ und Gendern?
Wie durch Gendern ein unbiblisches Weltbild transportiert wird
Lothar Gassmann / Holger Schmitt
Man kann ihnen nicht mehr entgehen: den Binnen-I’s, Gender-Sternchen, Gender-Doppelpunkten und Glottisschlägen („Politiker-(Knacklaut)-innen“). Die Praxis des Genderns hat die Begrenzung auf linksfeministische Kreise längst durchbrochen und das öffentlich-rechtliche Fernsehen, die öffentliche Verwaltung und viele Firmen erreicht. Auch Kirchen, Gemeinden und Christen stehen – explizit oder implizit – vor der Frage, wie sie es mit dem Gendern halten wollen. Verschiedene Gruppierungen haben sogar inzwischen gefordert, Gott als Gott*, Gott+ oder G*tt w/m/d wiederzugeben.
Wir halten diese Entwicklung nicht für harmlos, noch glauben wir, dass durch Gendern „Gerechtigkeit“ gewirkt wird. Wir rufen Christen auf, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen und wollen hier eine Orientierung aus biblischer Perspektive bieten.
Beim Gendern geht es im Kern darum, das generische Maskulinum (wie das Wort Einwohner in dem Satz „Berlin hat rund 3,7 Millionen Einwohner“), durch andere Formen zu ersetzen, weil es Frauen und „andere Geschlechter“ unsichtbar mache. Stattdessen solle man Doppelformen (Einwohnerinnen und Einwohner) oder eine von zahlreichen Kurzformen verwenden (EinwohnerInnen, Einwohner*innen, Einwohner:innen). Alternativ kommen neutralisierende Personenbezeichnungen („Lehrende“ oder „Lehrpersonal“ statt „Lehrer“) oder Umformulierungen in Frage.
Im säkularen Bereich gibt es mittlerweile zahlreiche Abhandlungen, die sich kritisch mit diesen Entwicklungen befassen (als hilfreiche Übersicht sei hier nur „Von Menschen und Mensch*innen“ von Fabian Payr empfohlen). Als Gründe gegen das Gendern werden häufig unter anderem die folgenden angeführt:
- Genus (das grammatische Geschlecht) ist nicht gleich Sexus (das natürliche Geschlecht der Person, auf das sich ein Wort bezieht). Das Mädchen ist grammatisch neutral, vom natürlichen Geschlecht her aber eindeutig weiblich; die Person ist grammatisch feminin, kann aber in der Realität sowohl weiblich als auch männlich sein. Unzähligen Konzepten und Gegenständen ist ein Genus zugeordnet, ohne dass sie überhaupt ein natürliches Geschlecht hätten. Und im Nominativ Plural ist sogar alles die, selbst die Männer, und auch die Pronomen nehmen die Form sie und ihr an: Die Männer waschen ihre Autos; sie tun das mit dem größten Vergnügen.
- Stilistisch wie auch von der Verständlichkeit her sind gegenderte Texte ein Rückschritt. Sie sind umständlicher zu lesen und erschweren auch den Erwerb des Deutschen als Fremdsprache. Zudem heben gegenderte Texte eine Information (das Geschlecht der Person) hervor, wo sie keine Bedeutung hat: Lass uns noch schnell bei der Bäckerin oder bei dem Bäcker vorbeifahren zerrt eine Botschaft an die Oberfläche, die in diesem Kontext absolut irrelevant ist: „Die Person, bei der wir unser Brot kaufen, könnte sowohl männlich als auch weiblich sein.“
- Gendern lässt sich kaum konsequent durchhalten. Dies gilt vor allem für zusammengesetzte Nomen (der/die Bürger*innenmeister*in) oder von der Wortzusammensetzung kompliziertere Fälle (der/die Kolleg*e*in, den Kolleg*inn*en, der/die A*Ärzt*in). Wollte man das „dritte Geschlecht“ auch noch angemessen berücksichtigen, müsste man auch noch neue Anredeformen, Artikel und Pronomen erfinden, da Neutrum-Formen wie das oder es – verständlicherweise – abgelehnt werden.
- Gendern spaltet die Gesellschaft, da Gender-Befürworter für sich in Anspruch nehmen, für „Gerechtigkeit“ zu kämpfen, während „Gender-Verweigerer“ als ungerecht oder sogar als Frauenhasser stigmatisiert werden.
Alle diese Argumente gegen das Gendern sind berechtigt. Die unnötige Hervorhebung des Geschlechts und der moralische Anspruch der Genderer dürften die Hauptursache dafür sein, dass viele Menschen von den Genderpraxis genervt sind.
Für Christen gibt es aber noch eine weitere, die geistliche, Dimension, die im öffentlichen Diskurs keine Rolle spielt. Wir glauben, dass Gendern nicht in erster Linie eine Frage von Gerechtigkeit ist, sondern eine Frage von Wahrheit. Wir glauben, dass der Kampf gegen das generische Maskulinum letztlich ein Kampf gegen das biblische Weltbild ist.
Die tiefste anthropologische Fundierung, die uns Christen zur Verfügung steht, also der Text, der uns darüber Auskunft gibt, was der Mensch ist und wie Gott sich die Welt gedacht hat, ist der Schöpfungsbericht in 1. Mose 1 und 2. Danach wurden Mann und Frau nach dem Bilde Gottes geschaffen, gleichwertig, aber unterschiedlich: zuerst der Mann als „Ur-Mensch“ und dann die Frau aus der Seite des Mannes (was in der Regel als „Rippe“ übersetzt wird; 1. Mose 1,27; 2,18-25).
Gott selbst reflektiert in seiner Namensgebung dieses Schöpfungsgeschehen. Adam ist nicht nur der Name des ersten Menschen, sondern bezeichnet in der Bibel auch den Menschen an sich. Als solches wird Adam auch mit Verben und Pronomen im Plural verbunden, etwa dann, wenn Eva mit eingeschlossen ist. So heißt es beispielsweise in 1. Mose 1,27: „Gott schuf den Menschen [Adam] als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie“. In 1. Mose 5,1b-2 wird dies noch deutlicher: „Als Gott den Menschen [Adam] schuf, gestaltete er ihn als Abbild von sich. Er schuf sie als Mann und Frau. Dann segnete er sie und gab ihnen noch am Tag ihrer Erschaffung den Namen ‚Mensch‘ [Adam].“ Wenn Sie so wollen, ist Gott selbst der Urheber des generischen Maskulinums.
In der Bibel finden wir fortan kontinuierlich den Gebrauch des generischen Maskulinums. Während es beispielsweise im Hebräischen sehr wohl ein Wort für Israelitin gab und dieses auch gebraucht wurde, wenn sich der Schreiber auf eine bestimmte einzelne Frau bezog (3. Mose 24,10), finden wir als Kollektivbezeichnung immer Israeliten. Ebenso wird im Griechischen die Christin Tabitha als Jüngerin bezeichnet (Apostelgeschichte 9,36). Wenn jedoch von einer rein männlichen oder einer gemischten Gruppe die Rede ist, lesen wir immer nur von Jüngern (z. B. Apostelgeschichte 11,26).
Noch deutlicher wird die Verwendung des generischen Maskulinums in der Bibel dort, wo in der Sprache des NT ein Begriff geschlechtsneutral verwendet werden kann, der im Deutschen männlichen Personen vorbehalten ist. Der griechische Begriff adelphos bedeutet zunächst einmal Bruder. Da das neutestamentliche Griechisch aber den Begriff Geschwister nicht kennt, wird adelphos auch (im Singular wie im Plural) dort gebraucht, wo das Geschlecht irrelevant ist.
Entsprechend finden wir in manchen deutschen Übersetzungen die für unsere Ohren ungewohnten Wörter Bruder oder Brüder auch dort, wo beide Geschlechter gemeint sind. Petrus fragt beispielsweise, wie oft er seinem Bruder vergeben muss (Matthäus 18,21). Stephanus erklärt kurz vor seinem Tod, dass Mose, als er 40 Jahre alt war, nach seinen „Brüdern, den Israeliten“ sehen wollte (Apostelgeschichte 7,23). Paulus redet die Gemeindemitglieder, an die er seine Briefe schreibt, immer wieder als „Brüder“ an (z. B. Römer 1,13). Jakobus ermahnt seine „geliebten Brüder“, schnell zum Hören, aber langsam zum Reden und zum Zorn zu sein (Kap. 1,19). Johannes weist mehrfach darauf, dass für Christen die „Liebe zum Bruder“ ein Erkennungsmerkmal sei (z. B. 1. Johannes 3,14). Und auch Jesus selbst bezeichnet seine Nachfolger als Brüder (z. B. Matthäus 25,40; Hebräer 2,11).
Nun ist, wie gesagt, im Deutschen das Wort Bruder geschlechtsmarkiert, d. h., es bezieht sich tatsächlich – im Unterschied zu dem altgriechischen Wort – nur auf eine Person männlichen Geschlechts. Von daher verwenden manche Bibelübersetzungen in Kontexten, in denen sich das griechische Wort eindeutig auf Personen beiderlei Geschlechts bezieht, im Deutschen die Bezeichnung Geschwister. Damit sollte man aber behutsam umgehen, denn an manchen Stellen sind – auch mit anderen maskulinen Formen – tatsächlich ausschließlich Männer gemeint, etwa dort, wo es um die Einsetzung von Ältesten geht (vgl. 1. Timotheus 3,2).
Alle diese Beispiele zeigen, dass in der Bibel durchgängig, von den verschiedensten Autoren und ohne Scheu das mit dem Schöpfungsbild verbundene generische Maskulinum verwendet wird. Gendern ist ein Schritt, genau diesen Widerhall des Schöpfungsimpulses (Mann als „Erster unter Gleichen“, Frau aus dem Mann) zu beseitigen.
Mittlerweile hat sich die Genderpraxis noch einen Schritt weiter von dem biblischen Zeugnis entfernt. Genderstern, -doppelpunkt und (beim Sprechen) Knacklaut sollen nach der Vorstellung der Gender-Befürworter die Ausschließlichkeit von männlich und weiblich überwinden, indem sie alle „nichtbinären Geschlechter“ repräsentieren. Nun ist es so, dass es (wenn auch extrem selten) Menschen gibt, die phänomenologisch weder eindeutig männlich noch weiblich sind („Intersexuelle“; vgl. Matthäus 19,12: „von Geburt an zur Ehe unfähig“); diese Menschen verdienen wie jeder andere Mensch Achtung und Respekt. Sie bilden jedoch ebenso wenig ein eigenes oder neues Geschlecht (das es dann sprachlich zu repräsentieren gälte) wie jene, die ihre geschlechtliche Identität in einem Spannungsverhältnis zum traditionellen Geschlechterverständnis erleben.
Wer sprachliche Formen wie die oben aufgeführten verwendet, bekennt sich also zu einer „Vielfalt der Geschlechter“, die dem biblischen Menschenbild entgegensteht (1. Mose 1,27). Diese Praxis hat durchaus propagandistische Züge. Mit jeder auf diese Weise gegenderten Personenbezeichnung wird dem Sprachbenutzer vor Augen geführt: „Es gibt mehr als zwei Geschlechter!“ Oder, wie es die Anti-Gender-Aktivistin Birgit Kelle einmal ausdrückte: Es geht um die „Schaffung einer neuen Normalität.“ Gender-Befürworter treten zudem mit dem Anspruch von Moral, Mitgefühl und Gerechtigkeit auf; dies macht es Christen so schwer, sich dagegen zu positionieren. Am Ende vermittelt das Gendern jedoch ein bibelfremdes Bild der Realität.
Diese Verschiebungen des Weltbildes durch Sprache sind der eigentliche Grund, warum sich Christen nach unserer Auffassung nicht an der Genderpraxis beteiligen sollten (wenn sie nicht gerade von Berufs wegen dazu gezwungen werden). Das heißt nicht, dass wir nicht auch Paarformeln verwenden können (vgl. z. B. Markus 3,31 mit Vers 32; Jakobus 2,15); das heißt aber sehr wohl, dass wir uns nicht dem Chor jener anschließen, die das generische Maskulinum ausmerzen wollen.
Dr. Lothar Gassmann ist Theologe und Publizist
Dr. Holger Schmitt ist Sprachwissenschaftler